Berner Bauernhäuser einst und jetzt

Ich kann mich noch gut an das alte Hochstudhaus mit den kleinen Fenstern und der niedrigen Türe erinnern, das in unserem Dorf stand. Bewohnt wurde es von Gastarbeitern aus Süditalien, denen wir gerne Gesellschaft leisteten, weil sie viel Interessantes aus ihrer sonnigen Heimat am Mittelmeer zu erzählen wussten. Während der kalten Jahreszeit stand das Haus mit dem fast bis zum Boden reichenden Dach leer. Und wenn es im Frühjahr wieder bewohnt und belebt war, durften wir die ungenutzten Räume, den Keller, die Futtertenne und den grossen Heuboden unter dem Dach erkunden. Wir staunten über die engen Kammern mit tief liegender Diele, in unserem modernen Einfamilienhaus war ja alles ganz anders! Und wir gingen immer wieder gerne hin, denn das alte Haus übte eine geheimnissvolle Faszination auf uns aus. Wir liessen unserer Fantasie freien Lauf und rätselten darüber, was sich hier wohl schon alles zugetragen haben könnte. Und, das ist ein Eindruck der mir bis heute geblieben ist, wir fühlten uns wohl und geborgen hinter diesen alten Holzwänden, das mächtige Vollwalmdach breitete sich wie ein Schild schützend über uns aus.

Ein altes Haus verschwindet
Wie alt mag das Haus gewesen sein? Ich weiss es nicht mehr, denn der Hochstudbau wurde irgendwann abgerissen! Genau so wie einige weitere Hochstudhäuser in der Umgebung. Die Bausubstanz ermögliche es nicht, das Gebäude zu erhalten, hiess es zumeist, in trockenem Beamtenperfekt formuliert. Geblieben ist uns aber die Erinnerung. Und ein Gedanke von Seneca: Sei nicht traurig über das, was du verloren hast, freue dich über die Zeit, die du gehabt hast. Und über das, was dir geblieben ist. Oder von Epiktet: Sage nicht, dass Du es verloren hast, sag vielmehr: Ich habe es zurückgegeben.

Berner BauernhäuserFlückiger-Seiler, Roland: Berner Bauernhäuser

Bauernhaus, Spycher, Stöckli
Viele und gut strukturierte Informationen über Bauernhäuser im Kanton Bern gibt ein Buch aus dem Jahr 1988 von Roland Flückiger-Seiler. Das reich bebilderte Werk ist leider vergriffen. Das Exemplar, das hier auf dem Tisch liegt, stammt aus der Regionalbibliothek. Nach einem Überblick der verschiedenen Regionen des Kantons und der damit verbundenen architektonischen Eigenheiten geht der Verfasser auf die unterschiedlichen Haustypen und auf deren geschichtliche Entwicklung ein. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die markanten Steildacher erst ab dem späten 17. Jahrhundert kontinuierlich entstanden. Sie lösten die ursprünglich schwach geneigten Satteldächer ab, so wie sie bis heute im Berner Oberland anzutreffen sind. Charakteristisch für das Berner Bauernhaus ist das Dreiviertel-Walmdach mit Gehrschild; dem dreiecksförmigen Teilwalm an der Giebel- oder Schmalseite des Daches. Sehr schön dokumentiert der Band die verschiedenen Gebäude, die zu einem Bauernhof gehören. Da ist natürlich der Speicher («Spycher») zu nennen, der so angeordnet ist, dass er vom Wohnteil des Bauernhauses aus immer zu sehen ist. Aber dennoch im Falle eines Brandes genügend Abstand zum Hauptgebäude der Bauernsiedlung hat. Der Verlust des Spychers war verhängnisvoll, denn in diesem einbruchssicheren Gebäude befanden sich neben dem Getreide und den Wertsachen meist auch Urkunden und andere wichtige schriftliche Unterlagen.

Im Stöckli wurde gewohnt – und gearbeitet
Natürlich darf ein weiterer wichtiger Nebenbau nicht fehlen, gemeint ist das Stöckli, das als Baugattung eine typisch bernische Erscheinung sei, so dass dafür nur ein berndeutscher Ausdruck existiere, so Flückiger-Seiler. Es ist vielleicht das vielseitigste Gebäude der Siedlung, seine Geschichte beginnt mit dem alten Küherstöckli und endet im Hier und Jetzt, denn der Stöcklistil ist weit über das Bernbiet hinaus ein beliebter Haustyp geworden. Vielseitig auch deshalb, weil das Stöckli nicht nur als Wohnung diente, in ihm waren auch Werkstätten, weniger oft auch Käsereien untergebracht. Wie das Bauernhaus ist das Stöckli oft ein Ständer- oder Riegbau, so dass es sich harmonisch in die Häusergruppe einfügt. Auch dekorative Elemente wie die Ründi oder verzierte Lauben fehlen nicht.

Ornamentlos? Früher nicht!
Apropos Verzierungen: Unlängst hat ein Spezialist erklärt, dass wir in bezug auf die Architektur in einer ornamentlosen Zeit leben. Recht hat er! Wer’s nicht glaubt, gehe durch ein Wohnquartier mit Einfamilienhäuser, die nicht älter als 50 Jahre sind. Und sehe sich um!
Das war früher ganz anders, denn Verzierungen und dekorative Elemente bezeugten den Wohlstand und damit verbunden auch den sozialen Stand des Besitzers. Im Buch «Berner Bauernhäuser» sind zahlreiche Beispiele abgebildet und detailliert beschrieben. Und so staunt der Betrachter, wenn er vor dem Haus eines habligen Bauern aus dem späten 18. Jahrhundert steht: Farbige Fassaden, verzierte Büge und Balken, bunte Malereien an der Ründi und vieles mehr. Eine Augenweide bei vielen alten Häusern ist immer wieder die Unterseite der Ründi, die gerne als Himmel mit Sonne, Mond und Sternenmeer verschönert wurde.

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