Der Chacheliflicker

Chacheliflicker

Chacheliflicker am Gotthelfmärit 2009 in Sumiswald

Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zuge der Industrialisierung auch das Geschirr immer häufiger maschinell gefertigt wurde und dadurch günstiger zu haben war, verschwanden sie. Die Zeit der Chacheliflicker (Geschirrflicker) ging zu Ende, nur noch wenige von ihnen überschritten die Schwelle zum 20. Jahrhundert – zu unserer modernen Zeit. Die Chacheliflicker sind Kinder einer vergangenen Epoche, als auf dem Tisch noch eine Öllampe oder Kerze brannte, als am Abend in der Stube ein Spinnrad surrte, als alles noch von Hand gefertigt wurde und viele Kleinhandwerker von Tür zu Tür gingen um so ein karges Brot zu verdienen.

Wenn heute ein Teller, eine Schüssel oder ein «Häfeli» in die Brüche geht, dann wird es in aller Regel achtlos weggeworfen – rasch ist es ersetzt. Zu früheren Zeiten war das nicht so. Kachelgeschirr hatte seinen Wert und wurde im Hause geschätzt. In wohlhabenden Familien kamen an Sonn- und Feiertagen gar kostbare Stücke auf den Tisch, die stolz den Gästen «gspienzlet» wurden. Wer das «Chüechlihus», das Heimatmuseum in Langnau besucht, entdeckt dort diese Zeugen aus vergangenen Jahrhunderten: einfache, irdene Schüsseln einfacher Bergler neben kunstvoll gefertigtem und bemaltem Tongeschirr und Porzellan aus städtischen Herrschaftshäusern.
Brach damals ein Geschirrstück entzwei, wurde es nicht weggeworfen. Die «Stücki», also die Scherben wurden sorgfältig aufbewahrt, bis ein Chacheliflicker vorbeikam. Die Kachelflicker waren meist Randständige, Menschen an der Schwelle zur Armut, die von Bauernhof zu Bauernhof zogen, um Kessel und Geschirr zu flicken. Dafür durften sie sich mit dem Gesinde an den Tisch setzen, wenn das Essen aufgetragen wurde und sie wurden für ihre Arbeit mit ein paar Batzen entlöht. War ihre Arbeit getan, zogen sie fürbas, stets in der Hoffnung, bei der nächsten Türe gute Aunahme zu finden.

Wer etwas mehr über die Kachelflicker erfahren will, der wird auch in alten Geschichten fündig, dort begegnen wir diesen Menschen, die meist ein schweres Los hatten. Auch die Kurzgeschichte «Wie Joggeli eine Frau sucht« von Jeremias Gotthelf handelt von einem Kessel- und Kachelflicker. Dieser ist nun aber ein junger und wohlhabender Bauer, der sich aufmacht, eine Frau zu finden. Bei der Suche verkleidet er sich als Chacheliflicker, weil ihm dies die Gelegenheit gibt, einen Blick in die Küche zu werfen. Und damit auch auf die Bauerntochter, die dort arbeitet. Die Geschichte findet ein glückliches Ende und der grosse Volksdichter beendet sie nicht ohne daran zu mahnen, auch im eigenen Heim stets ordentlich und gepflegt zu leben. Denn der nächste Besucher könnte ein grosses Glück bringen, wenn auch der Anschein vorerst ein ganz anderer ist.

Wenn der Chacheliflicker auf die «Stör» kam, brachten ihm die Bewohner die Stücki, sofern sie welche hatten und diese geflickt haben wollten. Und nun wurden die zerbrochenen Teile wie folgt wieder zusammengesetzt: an mehreren Bruchstellen werden auf beiden Seiten des Risses mit einem einfachen Drillbohrer Löcher gebohrt. Diese liegen meist knapp einen knappen Zentimeter von der Bruchstelle entfernt und sind etwa drei Millimeter tief. Eigentlich wird nicht gebohrt, sondern gerieben, denn als Bohrer wird nur ein flach geschlagener Nagel verwendet. Dies erklärt auch, weshalb nur Tongeschirr geflickt werden kann: Porzellan ist zu hart. Damit der Bohrer nicht abrutscht, wird die Bohrstelle vorgängig mit Hammer und Körner markiert und ein kleines Stück von der Keramikschicht entfernt. Hat der Chacheliflicker alle Löcher gebohrt, fertigt er aus Schmiededraht Klammer an, die ca. 1/10 Millimeter kürzer sind als die Distanz zwischen den beiden Löchern. so bleiben sie haften und halten die Bruchstelle zusammen. Um die Festigkeit und Dichte des Gefässes zu verbessern, werden die ganze Bruchstelle und die Haftlöcher mit Fensterkitt bestrichen. Leim, so wie wir ihn kennen, gab es noch nicht.

Dies ist die am häufigsten angewandte Technik. Am Gotthelf-Märit wurde das Chacheliflicken auch dieses Jahr wieder neben anderen alten, ausgestorbenen Handwerken gezeigt. Staunend sahen die Besucher dem Handwerker zu, durften selbst reparierte Teller in die Hand nehmen und sich von der Qualität der Arbeit überzeugen.


Berge oberhalb Eriswil

Wer sich über das Chacheliflicken informieren will, dem sei das Heimatmuseum in Langnau empfohlen. Neben altem, repariertem Geschirr ist dort auch das Werkzeug des letzten Chacheliflicker der Schweiz zu sehen. Dieser lebte und arbeitete noch 1950 in der Region Eriswil im Emmental.

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