Im Auge des Porphyrion

Vor dem Eingang bleibe ich einen Moment stehen, will mir Zeit nehmen um das grosse Gebäude genauer zu betrachten, auf dessen Eingangsstufen ich stehe. Vor mir erhebt sich eine Fassade aus Glas, die das Tageslicht und die umliegenden Gebäude spiegelt. Moderne, eindrucksvolle Architektur! Auf den Stufen vor dem Eingang stehen ein paar Geschäftsmänner in dunkelblauem Anzug, in der mitlerweile typischen Managerhaltung: rechte Hand mit Handy am Ohr, linke Hand mit Aktenmappe. Es ist neu Uhr Morgens, das Räderwerk ist in vollem Gang. Die elegant gekleideten Menschen passen zu dem Gebäude, vor dem sie stehen: Dunkelblau spiegelndes Glas, dunkelblaue oder schwarze Kleidung; auch bei den Business-Frauen kaum ein Farbtupfer. Aktenkoffer aus dunklem Leder, Personal Digital Assistant. Daily Briefing. Business.

Ich betrete das Gebäude, komme mir in der riesigen Halle etwas verloren vor. Warum habe ich bloss den Eindruck, dass ich nicht hierher passe? der Raum besteht aus dunkelgrauem Stein, eingefasst von schwarzen Stahlträgern und grossen Fensterfronten, aus Chromstahl und schwarzem Kunststoff. Alles sehr modern, Hightech-Atmosphäre macht sich breit. Nur: In dem ganzen Komplex kann ich nirgends ein einziges Pflänzchen entdecken.
Bei der Reception wird die Menschenmenge grösser, Besucherkarten werde verteilt, Termine besprochen, es wird zum Business-Launch eingeladen. Die Sprache ist angereichert mit Anglizismen.

Dann beginnt der Workshop, ein leitender technischer Angestellter referiert über Neuerungen, über Dateiformate, Layer, Contract Orders und über Qualification Requests. Die Besucher sitzen an den Tischen aus schwarzem Kunststoff und lauschen andächtig, wie bei einer Predigt. Jeder hat wie ein Gebetsbuch sein Handy vor sich auf dem Tisch liegen. Manche gar zwei. Andere haben den Notebook mitgebracht und aufgeklappt, sind auch während des Vortrages immer wieder auf ihren Desktop fixiert.

Ich blicke aus dem Fenster und sehe, wie dort eine Amsel über den Rasen hüpft, auf der Suche nach etwas essbarem. Sie interessiert sich nicht für all das, was hier geschieht. Sie hat ihren eigenen Rhythmus, weiss nichts von Qualification Requests. Mit all ihrem Sein und Streben ist sie aufgehoben und geborgen im Zeitenlauf der Natur. Mit anderen Worten: sie ist glücklich.

Dann hüpfte die Amsel auf ein Geländer, beobachtete von dort aus einen Moment die Umgebung. Und flog anschliessend davon.

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