Cicero: Laelius – Über die Freundschaft

Obwohl griechische Philosophen bei gebildeten Römern in hohem Ansehen standen, gab es doch auch Reibungsflächen: Insbesondere die teilweise sehr spekulativen und weit ausgreifenden Theorien der Griechen stiessen bei den Römern auf wenig Verständnis. Die Römer waren Pragmatiker und dementsprechend war auch ihre Gelehrsamkeit meist auf das praktische Leben ausgerichtet. Im Dialog «Laelius» lässt der grosse römische Redner, Politiker und Schriftsteller Cicero den Rhetor Gaius Laelius zu Worte kommen. Laelius, selbst ein berühmter Rhetor, ist ein in Philosophie und Dichtung hochgebildeter Mann. Seine Freunde ehren ihn als Weisen, spätere Generationen verbinden den Namen Laelius mit dem Muster eines guten Freundes.

Um des verstorbenen Freundes Publius Scipio d.J. zu gedenken, gelangen Quintus Scaevola und der Schwiegersohn Gaius Fannius mit einer Bitte an Laelius: Er möge eine Rede über die Freundschaft halten. Bevor Laelius der Bitte seiner Freunde entspricht, macht er eine Betrachtung über den verstorbenen Scipio. Für diesen kam der Tod überraschend, noch am letzten Abend seines Lebens wurde der verdiente Politiker und Stratege geehrt, er hat in seinem Leben alles erreicht, was er sich wünschen konnte und als einem gerechten und tugendhaften Menschen sei seiner Seele ein leichter Weg zu den Göttern gewiss. Es ist gemäss Laelius somit nichts schlimmes passiert. Trauer über den Verstorbenen zeugt somit eher von Neid als von Freundesliebe.

Im folgenden Gespräch gibt Laelius eine echt römische Definition der Freundschaft: Die vollkommene Übereinstimmung der Absichten, Interessen und Meinungen macht den ganzen Sinn einer Freundschaft aus. Freundschaft ist Liebe und Zuneigung zwischen guten Menschen. Laelius legt grossen Wert auf die Bestimmung einer gerechten und sittlich untadeligen Lebensführung: Nur wer tugendhaft lebt ist zu echter Freundschaft fähig, so wie Laelius sie versteht.

Freundschaft, die nur auf gegenseitigem Nutzen beruht, lässt Laelius nicht gelten. Ebenso beweist er, dass Freundschaft nicht die Gemeinschaft Schwacher und Hilfsbedürftiger ist, denn dann wäre Freundschaft unter Autarken weniger häufig anzutreffen. Genau das Gegenteil trifft aber zu. Laelius glaubt, «dass Freundschaft eher aus unserem ureigenen Wesen als aus einer Notlage entspringt, mehr durch die Verbindung, die sich zwischen dem Geist und einer gewissen Liebesempfinden vollzieht, als durch die Überlegung, wie gross der Vorteil sei, den die Freundschaft bringt.»

Laelius gibt im folgenden zahlreiche Beispiele echter Freundschaft, bereichert durch eigene Erfahrungen und Erlebnisse. Dabei kommt er auch auf andere Ziele zu sprechen, nach denen die Menschen streben: Ämter, Reichtum, Ruhm und Ehre, Lust und Genuss. Laelius betrachtet all diese scheinbaren Güter einzeln und zeigt seinen Freunden, dass die Menschen damit oft nur Schatten und Trugbildern hinterher eilen. Ein gutes Leben und echte Freunde, danach sollen wir streben!

Ciceros Dialog über die Freundschaft ist ein echtes Kleinod. In vollendeter Sprache und mit brillianter, geistiger Klarheit und Überzeugungskraft spricht der berühmte Denker am Ende der römischen Republik von der Freundschaft. Das Werk ist so kurz, dass es in ein bis zwei Tagen gelesen werden kann. Mich hat es so sehr fasziniert, dass ich es, am Ende angelangt, gleich noch einmal durchlas und auch nach der zweiten Lektüre in Griffnähe halten werde. Es ist ein Buch, das zeitlose Werte vermittelt, das bei der Lekture stets von neuem bereichert und erfreut!

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